Eine ausführliche Diagnostik ist bei einer Gonarthrose das A und O für Orthopäde Dr. Matthias Kern mit Praxis in Völklingen. Dafür entwickelte er einen eigenen Algorithmus, genauso wie für den anschließenden patientenindividuellen Therapieweg. Im Experten-Interview gibt er Einblicke in seine Behandlungsmethoden und verrät, welche Rolle orthopädische Einlagen bei Gonarthrose-Patienten spielen.
Herr Dr. Kern, was verstehen Sie unter einer leichtgradigen Gonarthrose?
„Den Schweregrad einer Arthrose bestimmen wir in der Orthopädie und Unfallchirurgie anhand klinischer und radiologischer Kriterien. Es stehen dafür definierte Einteilungen zur Verfügung – allerdings werden diese Stadien-Einteilungen häufig nicht einheitlich genutzt. Ich orientiere mich deswegen an der gutachterlichen Unterscheidung zwischen leichtgradig, mittelgradig und hochgradig und beachte dabei die radiologischen Veränderungen in Verbindung mit den klinischen Funktionseinschränkungen. Bei einer leichtgradigen Gonarthrose stehen dem Patienten noch alle Therapie-Möglichkeiten offen, für mich bedeutet das immer eine OP-Vermeidung.“
Mit welchen Beschwerden kommen die Patienten zu Ihnen?
„Bei einer leichtgradigen Gonarthrose handelt es sich meistens um einen Zufallsbefund – die Patienten kommen wegen allgemeinen Knieschmerzen in die Praxis, zum Beispiel aufgrund einer Überbelastung oder eines Sturzes. Diese Beschwerden lassen häufig eine Meniskus- oder Kniescheibensymptomatik vermuten.”
Welche Patientenklientel ist besonders betroffen?
„Arthrose als degenerative Veränderung ist eine progressive Erkrankung. Mit steigendem Alter nimmt auch der Verschleiß zu, weshalb Gonarthrose vermehrt bei über 60-Jährigen auftritt. Die Anzahl der Betroffenen nimmt jedoch bereits ab einem Alter von 45 Jahren stark zu.1 Das sehen wir auch bei uns in der Praxis. Immer mehr Patienten kommen früher, denn einige Parameter begünstigen das Fortschreiten: Genetische Faktoren – das heißt, Frauen sind häufiger betroffen als Männer –, eine angeborene beziehungsweise erworbene Achsfehlstellung (X-Beine oder O-Beine), Übergewicht, aber auch Sportarten wie Fußball oder Tennis. Auch Kniescheibenfehlstellungen beziehungsweise -fehlbildungen – die sogenannte Patelladysplasie – können eine Arthrose im femoropatellaren Gleitlager bedingen, weil sie oft einen unphysiologischen Druck auf den Knorpel ausüben. Dadurch kann ein punktueller Knorpelschaden entstehen.“
Wie diagnostizieren Sie eine leichtgradige Gonarthrose?
„Eines vorweg: Eine umfassende Diagnose ist für mich immens wichtig, sie erfolgt bei uns nach einem Algorithmus! Wir beginnen mit einer ausführlichen Anamnese über ein Tablet: mit Angaben zum Job, sportlichen Aktivitäten oder einer familiären genetischen Belastung. Mein Team unterstützt mich hier sehr gut und ich kenne beim Patientengespräch bereits viele Eckpunkte, bei denen ich nachfassen kann. Bei der anschließenden Untersuchung achte ich insbesondere auf Fehlstellungen, Kapselschwellungen, eine intraartikuläre Ergussbildung und Instabilitäten – und versuche dann über die geklagten Beschwerden zu einer Arbeitsdiagnose zu gelangen. Danach folgt der Klassiker der Gonarthrose-Diagnostik: das Röntgenbild, um festzustellen, ob es sich um eine einseitige oder beidseitige Arthrose handelt. Wir führen die radiologischen Aufnahmen ausschließlich im Stehen durch, um das Kniegelenk unter Belastung zu beobachten. Zudem machen wir eine Patella-Tangentialaufnahme, also eine Aufnahme bei gebeugtem Knie. Danach schicke ich bei Verdacht auf eine leichtgradige Gonarthrose die Patienten zur Kernspintomographie. Wird ein vorbestehender oder als Begleitverletzung entstandener leichtgradiger Knorpelschaden diagnostiziert, handelt es sich um eine leichtgradige Gonarthrose. Ich entscheide patientenindividuell, ob eine sonographische Untersuchung erforderlich ist, ich zusätzlich eine dynamische Ganganalyse durchführe, um das Abrollverhalten des Fußes zu beobachten, oder sogar eine umfassende Haltungs- und Bewegungsanalyse notwendig wäre. Bei Letzterer werden die Patienten in Bewegung auf einem Laufband von mehreren Kameras vermessen – besonders gut können damit Beinachsfehlstellungen reproduzierbar dargestellt werden.“
Das heißt, die Therapie findet ausschließlich patientenindividuell statt?
„Genau, denn die Voraussetzungen und Ansprüche der Patienten an ihr Knie sind sehr unterschiedlich: Deswegen klären wir im Vorfeld, was der Patient in welchem Zeitraum erreichen möchte und was er bereit ist, selbst zu leisten – zeitlich, finanziell und in Bezug auf sein Selbstmanagement. Dafür haben wir analog zum Diagnose-Algorithmus einen Therapie-Algorithmus mit verschiedenen ‚Therapie-Biwaks‘ eingerichtet, der sich flexibel anpassen lässt.“
Was ist mit einem Therapie-Biwak gemeint?
„Da wir in meiner Praxis nur in Ausnahmefällen Monotherapien durchführen, haben wir den Begriff der ‚Therapie-Biwaks‘ eingeführt. Das bedeutet, dass wir uns ein bestimmtes Therapieziel mit den Patienten setzen. Ist dieses erreicht, schreiten wir zum nächsten Ziel oder Biwak weiter. Aus meiner Praxiserfahrung ist es für die Patienten einfacher, bei der Erklärung mit gedanklichen Bildern zu arbeiten. Nur wenn Patienten die erforderliche Therapie auch umfassend verstehen, gehen sie einen längerfristigen Weg mit.“
Wie gehen Sie dabei konkret vor?
„Nach erfolgter Diagnostik beginnen wir mit unserer ersten Therapiestufe, dem ersten Therapie-Biwak. In dieser Phase geht es um die Schmerzbekämpfung – in der Regel ist es für die Patienten am dringlichsten, schmerzfrei zu werden. Hier setzen wir alle konservativen Möglichkeiten unserer Praxis ein: von der Kryotherapie bis hin zum High-Power-Laser. Im Bereich der Injektionstherapie haben wir uns dafür entschieden, in zunehmendem Maße auf intraartikuläre Cortison-Injektionen zu verzichten. Dies entspricht auch häufig dem Wunsch der Patienten. Zur Entzündungshemmung verwenden wir erfolgreich neben Hyaluronsäure-Präparaten und Injektionen mit Blutplasma (ACP/PRP) auch intraartikuläre Injektionen mit autologem konditioniertem Serum (ACS). In dieser Phase arbeiten wir auch gerne schon mit Einlagen und Orthesen zur Druckentlastung des Knorpels.“
Wie viele Therapie-Biwaks gibt es?
„Insgesamt drei: Ist eine Schmerzlinderung oder sogar Schmerzfreiheit erreicht, folgt die nächste Therapiestufe, das zweite Therapie-Biwak. Hier geht es um die Funktionsverbesserung des Gelenks. Das dritte und abschließende Therapie-Biwak beinhaltet Maßnahmen zur Prävention. Hier erfolgen längerfristige trainingstherapeutische Maßnahmen – auf Wunsch auch Ernährungs- und Fitnessberatungen. Grundsätzlich gilt es in den frühen Phasen einer Gonarthrose eine Operation zu vermeiden, wenn nicht strukturelle Schäden am Meniskus oder am Bandapparat vorliegen. Dann kann eine arthroskopische OP zunächst sinnvoll sein, um intraartikuläre Störfaktoren zu beseitigen. Danach kann aber in gleicher Weise mit der eigentlichen Gonarthrose-Therapie begonnen werden.“
Inwiefern spielt die Leitlinie eine Rolle bei der Therapie?
„Grundsätzlich versuche ich entsprechend aktuellen Leitlinienempfehlungen zu therapieren. Schon allein aus rechtlichen Gründen ist dies sinnvoll. Die Leitlinie zur Gonarthrose umfasst ein weites Spektrum an möglichen Therapieoptionen, die jedoch nicht alle von den gesetzlichen Krankenkassen abgedeckt werden. Diese Therapieformen können wir Patienten aber in Eigenleistung anbieten, wie zum Beispiel die Schmerzbehandlung mit Blutserum oder ein neuromuskuläres Training.“
Orthopädische Einlagen sind Teil der Leitlinie und auch einer Ihrer Behandlungsschwerpunkte. Worauf achten Sie bei der Versorgung mit Einlagen?
„Auf drei Dinge: einen aufrechten Stand, ein physiologisch korrektes Abrollverhalten und die sogenannte „Body Balance“, das heißt die Fähigkeit der Patienten ihre Körperschwerpunktstabilität zu finden. Ob dies der Fall ist, überprüfe ich durch Messungen vor und nach der Einlagenversorgung.“
Sollte eine Einlage flexibel oder starr sein?
„Wichtig ist, dass orthopädische Einlagen eine Neutralstellung im Sprunggelenk herbeiführen, sodass der Fuß im ersten Moment des Abrollvorgangs sicher und stabil auf der Ferse aufsetzen kann. In der Regel verordne ich flexible Einlagen – ob diese nun eher weich oder hart sind, überlasse ich dem persönlichen Empfinden der Patienten. Denn Patienten tragen ihre medizinischen Hilfsmittel nur, wenn sie sich auch gut anfühlen. Für den Therapieerfolg bei Gonarthrose hat es sich in der Praxis bewährt, die Patienten immer mit einzubeziehen und auch die passende Auswahl individuell zu treffen: Ist jemand fit und hat eine gute Muskulatur, arbeite ich gerne mit weniger starren Einlagen, weil diese leichter und dadurch meist angenehmer zu tragen sind. Ansonsten entscheide ich mich für eine festere Ausführung, das heißt, eine Einlage mit festerer Fersenschale, aber mit weicherer Ausführung im Vorfußbereich. Über die Fersenschale können wir die Neutralstellung im Sprunggelenk oder auf Wunsch auch eine varisierende oder valgisierende Komponente realisieren. Die Flexibilität im Vorfuß ermöglicht dann eine ungehinderte Abrollung des Fußes.“
Einlagen ermöglichen eine Schmerzreduktion. Warum spielt das eine so große Rolle?
„Die Patienten kommen wegen Schmerzen in die Praxis, weshalb die Schmerzbekämpfung unser erstes Therapieziel ist. In der Regel arbeite ich bei der Gonarthrose-Therapie von innen nach außen. Das bedeutet, beim ersten ‚Therapie-Biwak‘ stehen die intraartikulären Strukturen im Vordergrund. Ich führe hier neben anderen schmerzlindernden Maßnahmen meistens eine Therapie durch mit autologem Plasma in der Kombination mit Hyaluronsäure, wenn das Gelenk nicht mehr ausreichend gleitet. Danach konzentriere ich mich auf die Kapsel-Band-Strukturen. Hier spielen auch die orthopädische Einlage und der Einsatz von Orthesen eine wichtige Rolle, weil sie die Beinachse positiv beeinflussen und damit gezielt Gelenk- und Kapselstrukturen entlasten können. Im nächsten Schritt, ergo im dritten Therapie-Biwak, steht die Muskulatur im Funktionsbereich im Fokus der Behandlung. Ich biete in unserer Praxis ein neuromuskuläres Training beziehungsweise einen neuromuskulären Check-up mit Trainingsempfehlungen an.“
Setzen Sie bei der Therapie auch konservative Behandlungsmethoden wie Orthesen oder Bandagen ein?
„Ja, gerade bei einseitiger Arthrose verordne ich vor allem eine entlastende Hartrahmenorthese. Der Patient soll eine Schonhaltung vermeiden. Mithilfe der Orthese wird das Knie entlastet und der Patient kann gleichzeitig aktiv werden und einen Teil zur Genesung beitragen. Je nach Konstellationen kombiniere ich auch gerne Orthesen mit orthopädischen Einlagen. Um kurzzeitig Schmerzen zu lindern, verordne ich in bestimmten Fällen bei einem akut gereizten Knie zudem kühlende Stützbandagen.“
Welche Rolle spielt für Sie eine funktionierende Netzwerkarbeit aus Arzt, Fachhandel und Hersteller?
„Eine gute Zusammenarbeit ist für mich sehr wertvoll. Bei der Versorgung mit Orthesen und Einlagen lege ich auch großen Wert auf die Expertise von Orthopädietechnikern. Der Patient steht immer im Fokus und mir ist daran gelegen, eine optimale Versorgung für ihn zu erzielen. Dies gelingt im interdisziplinären Zusammenspiel in der Regel am besten.“
Herr Dr. Kern, vielen Dank für das sehr informative Interview.
Quelle: 1 12-Monats-Prävalenz von Arthrose in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017;2(3):57.
Surftipps:
www.medi.de/diagnose-therapie/arthrose/gonarthrose
www.medi.de/produkte/igli-oa
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