Kompressionstherapie bei Venenerkrankungen

Auf das richtige Material1 kommt es an

Interview mit Prof. Dr. med. Kröger

„Unabhängig von der Kompressionsklasse des Strumpfes ist die Akzeptanz viel größer, wenn der Kompressionsstrumpf gut sitzt und das geeignete Material hat.“

Ärzte sollten bei der Verordnung von Kompressionsstrümpfen einen noch größeren Schwerpunkt auf die richtige Wahl des Materials legen. Dieser Meinung ist Professor Dr. med. Knut Kröger, Direktor an der Klinik für Gefäßmedizin des Helios Klinikums Krefeld.

Im Interview nennt er Kriterien, die die Therapietreue der Patienten erhöhen können und erklärt, warum Patienten mehr Kompressionsstrümpfe verordnet bekommen sollten.

Herr Professor Dr. Kröger, laut der Bonner Venenstudie2 gibt es in Deutschland über 22 Millionen Menschen mit einem Venenleiden. Wie ist deren Versorgungssituation?

„Die 22 Millionen Menschen sind natürlich nicht alle versorgt, weil sie sich nicht alle krank fühlen. Man sollte sie auch nicht krank reden. Konzentrieren wir uns auf diejenigen, die wirklich Phlebödeme und Hautveränderungen haben, dann reduziert sich die Zahl. Das waren in der Bonner Venenstudie 17 Prozent der Teilnehmer. Bei diesen Menschen besteht durchaus eine medizinische Notwendigkeit und ihnen muss man den Nutzen der Kompressionstherapie nahebringen.“

Bei wem sehen Sie die Verantwortung aufzuklären?

Patientenaufklärung in der Kompressionstherapie

 

„Zunächst ist es wichtig, dass die Hausärzte die Patienten mit einer medizinischen Notwendigkeit erkennen. Für mich sind die Hautveränderungen ein wichtiges Kriterium. Den Patienten, die schon Hautveränderungen haben, sollte deutlich gesagt werden, dass diese fortschreiten können, wenn sie die Ursache nicht bekämpfen. Oft ist die Ursache aber nicht therapiebar, weil neben den Venenerkrankungen noch Adipositas oder berufliche Tätigkeiten mit langen Sitz- oder Stehperioden hinzukommen. Für diese Patienten ist die Kompressionstherapie optimal.“

Sie legen laut einer aktuellen Publikation3 den Fokus auf eine patientenindividuelle Versorgung mit Kompressionsstrümpfen. Was bedeutet das im Detail, wie gehen Sie vor?

„Die gängige Lehrmeinung besagt: Je höher der Kompressionsdruck ist, desto besser ist die Therapie. Andererseits sinkt mit der Höhe des Kompressionsdrucks die Therapietreue des Patienten. Es ist eine Herausforderung, einen Mittelweg zu finden. Bei den Patienten, die ein sehr fortgeschrittenes Krankheitsbild aufweisen, muss ein möglichst hoher Druck erzielt werden. Aber viele dieser Patienten haben Komorbiditäten4, Versteifungen in der Hüfte und Wirbelsäule oder zu wenig Kraft in den Händen, sodass sie die Kompressionsstrümpfe nicht anziehen können. Ich beginne daher lieber mit einer leichteren Kompressionsklasse und erhöhe diese vielleicht mit dem nächsten Rezept.“

Auf welche Kriterien sollten Ärzte neben der Diagnose bei der Kompressionstherapie noch achten?

„Neben den klassischen Komorbiditäten, der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK)5 und der Polyneuropathie6, sollten das Alter, die Mobilität der Patienten, das Gewicht sowie die Schwere der Venenerkrankung und die Phlebödemneigung berücksichtigt werden. Wichtig ist, den Patienten an einen Kompressionsstrumpf zu gewöhnen, der zu seinem Leben und Alltag passt. Auch der Umgang mit dem Strumpf ist ein Thema. Anziehhilfen sind zu wenig verbreitet. In unserer Klinik sprechen wir ältere, immobile Patienten, bei denen wir sehen, dass die Kraft in den Händen nicht ausreicht, auf die Notwendigkeit von Anziehhilfen an.“

Die mediven Beobachtungsstudie7,8 belegt, dass in Deutschland die Einheitsversorgung überwiegt. Patienten bekamen überwiegend einen Strumpf aus leichtem Material in der Kompressionsklasse 2 verschrieben. Wie beurteilen Sie dieses Ergebnis?

Ausstellung Kompressionsstrumpf-Rezept

 

„Die Studie hat gezeigt, dass in der Betreuung der Patienten noch Potential steckt. Meiner Meinung nach müssen wir die Patienten aber nicht in die Kompressionsklasse 3 oder 4 drängen. Manchmal reicht vielleicht bei einem älteren Patienten die Kompressionsklasse 1 aus. Viel entscheidender ist für mich die richtige Wahl des Materials, denn sie hat ebenfalls Einfluss auf die Therapietreue des Patienten und damit auf den Therapieerfolg.“

Welche Eigenschaften sind Ihren Patienten bei einem medizinischen Kompressionsstrumpf besonders wichtig?

„Der Patient will, dass der Strumpf erstens nicht rutscht und zweitens nicht einschnürt. Drittens muss der Strumpf leicht anzuziehen sein. Und viertens möchte der Patient beim Tragen des Strumpfes keinen Juckreiz bekommen. Modische Patienten stellen darüber hinaus noch einen optischen Anspruch an den Strumpf.“

Würden Sie sagen, dass diese Eigenschaften die Therapietreue erhöhen?

„Ja, denn schnürt der Strumpf ein oder zieht ihn der Patient mehrmals am Tag hoch, trägt er ihn nicht lange. Unabhängig von der Kompressionsklasse des Strumpfes ist die Akzeptanz viel größer, wenn der Kompressionsstrumpf gut sitzt und das geeignete Material hat.“

Was passiert aus Ihrer Erfahrung heraus, wenn Patienten nicht anhand der von Ihnen vorgeschlagenen Kriterien mit den entsprechenden Kompressionsstrümpfen versorgt werden?

„Haben die Patienten einmal schlechte Erfahrungen mit Kompressionsstrümpfen gemacht, ist es sehr schwierig, sie wieder für eine Kompressionstherapie zu gewinnen. Entscheidend ist, dass man den Patienten da abholt, wo er abgeholt werden möchte. Insofern muss der Arzt neben der Indikation auch auf Patientenkriterien wie Alter, Komorbiditäten, Gewicht – insbesondere Adipositas – sowie Phlebödemneigung Rücksicht nehmen und versuchen, den optimalen Kompressionsstrumpf für den Patienten auszuwählen. Andernfalls verliert er die Zustimmung des Patienten für die Kompressionstherapie.“ 

Sollte Ihrer Meinung nach die Materialbeschaffenheit des Strumpfes durch den Arzt bestimmt oder im Einzelfall eine namentliche Verordnung vorgenommen werden?

„Ja, denn wenn der Arzt nicht weiß, welchen Strumpf der Patient am Ende wirklich trägt, dann läuft etwas falsch. Der Arzt sollte auch wissen und verstehen, warum er welches Material wählt. Es gibt Hersteller, die Strümpfe mit leichtem, mittlerem und kräftigem Material anbieten, um eine patientengerechte Versorgung zu ermöglichen.“

Gibt es noch einen weiteren Faktor, der den Erfolg der Kompressionstherapie wesentlich beeinflussen kann?

„Ich glaube, dass wir die Patientenadhärenz erhöhen könnten, wenn Ärzte den Patienten mehr Kompressionsstrümpfe verschreiben dürften. Ein Patient bekommt beim ersten Mal zwei Paar Strümpfe verordnet – eines davon als Wechselversorgung. Betrachten wir den Hygiene-Aspekt, ist das nicht ausreichend, denn natürlich möchte jeder Patient täglich frische Strümpfe anziehen. Aber wer startet jeden Tag eine Waschmaschine – vor allem nur, um ein Paar Strümpfe zu waschen? Das Thema Hygiene im Umgang mit Kompressionsstrümpfen liegt mir daher sehr am Herzen. Ich finde, da muss im Rahmen der sich ändernden Hygienevorstellungen ein Umdenken stattfinden.“

Herr Professor Dr. Kröger, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Quellen

1 Der Begriff „Material“ umfasst in diesem Interview die verschiedenen textilen Charakteristika wie Elastizität, Rigidität und Festigkeit des Gestricks eines medizinischen Kompressionsstrumpfes. Das Material kann in leicht, mittel oder kräftig unterteilt werden.

2 Rabe E et al. Bonner Venenstudie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie: Epidemiologische Untersuchung zur Frage der Häufigkeit und Ausprägung von chronischen Venenkrankheiten in der städtischen und ländlichen Wohnbevölkerung. Phlebologie 2003;32:1-14.

3 Kröger K et al. Verordnungslogik von medizinischen Kompressionsstrümpfen bei Patienten mit chronischer venöser Insuffizienz. vasomed 2017;29(4):199-201.

4 Eine Komorbidität ist ein diagnostisch abgrenzbares Krankheitsbild, das zusätzlich zu einer Grunderkrankung vorliegt. Man spricht auch von der sogenannten Begleiterkrankung.

5 Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ist eine Erkrankung, bei der es zu Durchblutungsstörungen der Extremitäten kommt. Sie entsteht durch Einengung oder den Verschluss der arteriellen Arm- oder Beingefäße.

6 Polyneuropathien sind Krankheiten des peripheren Nervensystems. Die peripheren Nerven liegen außerhalb des zentralen Nervensystems (= Gehirn und Rückenmark). Sind die peripheren Nerven in ihrer Funktion gestört, kommt es zu typischen Beschwerden wie Schmerzen, Missempfindungen und Kribbeln in den Füßen, Beinen, Armen oder Händen. Häufig leiden Diabetiker unter solchen Polyneuropathien.