Die neue S2k-Leitlinie Lipödem

Die neue S2k-Leitlinie Lipödem1 ist im Januar 2024 in Kraft getreten. Sie enthält wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für die Therapie des Lipödems. Wir fassen die aktuellen Empfehlungen und Neuerungen für Sie zusammen. Unser Fokus liegt dabei auf der medizinischen Kompressionstherapie.

Die neue S2k-Leitlinie Lipödem

Schnell zum Thema:


Worum geht es in der S2K-Leitlinie 2024?

Sie möchten die Lebensqualität und den Therapieerfolg Ihrer Lipödem-Patient:innen verbessern? Die leitliniengerechte Versorgung ist die Basis für eine effektive Therapie.  

Die aktuelle S2k-Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie (DGPL) fasst die Diagnostik und Therapie des Lipödems auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zusammen und spricht Handlungsempfehlungen für die medizinische Praxis aus.  

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Die komplette Leitlinie finden Sie auf der AWMF-Internetseite

Allgemeine Inhalte der Leitlinie – der Schmerz als Leitsymptom, Stadieneinteilung entfällt

Die Definition des Schmerzes als Leitsymptom stellt in der aktuellen Leitlinie einen klaren Perspektivenwechsel hinsichtlich Pathophysiologie und Diagnostik des Lipödems dar. Darüber hinaus soll die bisher gebräuchliche Stadieneinteilung der Morphologie nicht mehr als Maß für die Ausprägung der Erkrankung verwendet werden.  

Nach wie vor ist der Einsatz der medizinischen Kompressionstherapie bei einem diagnostizierten Lipödem weiterhin unverzichtbar und ein wichtiger Bestandteil für die Schmerzreduktion in der Therapie. Im Folgenden finden Sie eine Auswahl der wichtigsten Informationen und Therapieempfehlungen.

Charakteristika des Lipödems

  • Schmerzhaft 
  • Fast ausschließlich Frauen betroffen 
  • Symmetrisch 
  • Disproportional 
  • Fettgewebsverteilungsstörung 
  • Nur Extremitäten betroffen 

Definition Lipödem: Schmerz als Leitsymptom

Obwohl die Krankheitsbezeichnung „Lipödem“ das Ödem weiterhin beinhaltet, handelt es sich weder um eine Ödemerkrankung noch um ein Krankheitsbild mit venöser oder lymphatischer Funktionsstörung. Das Leitsymptom des Lipödems ist der Schmerz: Druck- und Berührungsschmerz, Spontanschmerz und Schweregefühl sind Symptome im Sinne eines Lipödems. 

Die wichtigsten Aspekte der neuen S2k-Leitlinie Lipödem – mit Fokus auf medizinischer Kompressionstherapie

Die folgenden Empfehlungen sind in der S2k-Leitlinie1 unter den angegebenen Nummerierungen zu finden. 

Viele Personen mit Lipödem weisen ein oder mehrere der folgenden Charakteristika auf, für die der Einsatz flachgestrickter medizinischer Kompressionsstrümpfe oder eine mehrteilige Versorgung empfohlen wird: 

  • Begleitende Adipositas 
  • Komplexe Beinformen aufgrund von Kalibersprüngen 
  • Vertiefte Gewebefalten 

Therapie & Adhärenz

  • Der Einsatz der medizinischen Kompressionstherapie beim Lipödem ist obligatorisch und zielt in seiner Hauptwirkung auf die Schmerzreduktion ab.  
  • Die Auswahl des passenden Kompressionsmaterials ist individuell an die Bedürfnisse der Patient:innen anzupassen und soll zur Verbesserung der Adhärenz und Wirksamkeit beitragen. 

Stadieneinteilung und Progredienz

  • Die bisher in der Literatur gebräuchliche Stadieneinteilung der Morphologie soll nicht als Maß für die Schwere der Krankheit verwendet werden. Eine Stadieneinteilung für die Beschwerden existiert bisher nicht. 
  • Das Lipödem soll nicht als prinzipiell progrediente Erkrankung aufgefasst werden, da die Progredienz von verschiedenen Faktoren abhängig ist. 

Selbstmanagement

Aufgrund der subjektiven Schmerz- und Beschwerdesymptomatik ist eine patientenindividuelle und ganzheitliche Therapie der Betroffenen in Zusammenarbeit mit Versorger:innen, Ärzt:innen und Therapeut:innen essenziell. 

  • Lipödem-Patient:innen sollen eine aktive Rolle bei der Verbesserung ihrer Lebensqualität übernehmen. Für ein gelingendes Selbstmanagement ist dabei die Vermittlung evidenzbasierter Informationen von zentraler Bedeutung. 
  • Problemlösungsstrategien und konkrete individuelle Therapieziele sollen gemeinsam erarbeitet und so die Erhöhung der Selbstwirksamkeit gefördert werden. (Empfehlung 9.2) 

Der Einsatz medizinischer Kompression beim Lipödem

Die folgenden Empfehlungen sind in der S2k-Leitlinie1 unter den angegebenen Nummerierungen zu finden. 

Neben dem erforderlichen Druck soll bei der medizinischen Kompressionsversorgung auch das individuell am besten geeignete Material berücksichtigt werden. Auch mehrteilige Versorgungen sollen zur Verbesserung der Adhärenz und Wirksamkeit in Betracht gezogen werden.  

  • Bei diagnostiziertem Lipödem soll die medizinische Kompressionstherapie zur Schmerzreduktion an den betroffenen Extremitäten eingesetzt werden. (Empfehlung 4.1) 
  • Die Kompressionstherapie beim Lipödem kann initial mit medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS), Kompressionsverbänden (KV) und medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK) erfolgen. In der Langzeitbehandlung sollten im Routinefall MKS bevorzugt werden. (Empfehlung 4.2) 

Wirkungsweise

  • Die Kompressionstherapie soll beim Lipödem auf die Reduktion von Schmerzen und anderen subjektiven Symptomen ausgerichtet sein. (Empfehlung 4.3) 
  • Es soll den Patient:innen vermittelt werden, dass die Kompression nicht zur Reduktion des Fettgewebes geeignet ist. (Empfehlung 4.4) 
  • Bei der Auswahl und der Verordnung der Kompressionsmaterialien soll neben dem erforderlichen Druck auch das individuell am besten geeignete Material berücksichtigt werden, da die Wirkung der medizinischen Kompressionsversorgung sowohl vom Druck als auch von den Materialeigenschaften abhängt. (Empfehlung 4.5) 
  • Die Auswahl des Kompressionsmaterials beziehungsweise einer mehrteiligen Versorgung soll zur Verbesserung der Adhärenz und Wirksamkeit in enger Absprache von Patient:in, Ärzt:in, Therapeut:in und Versorger:in erfolgen. (Empfehlung 4.6)

Patientenindividuelle Auswahl des am besten geeigneten medizinischen Kompressionsproduktes

Um auf die patientenindividuellen Bedürfnisse eingehen zu können, gibt es bei der Auswahl der medizinischen Kompressionsversorgung folgendes zu beachten:  

  • Das Lipödem kann grundsätzlich mit rund- oder flachgestrickten MKS behandelt werden. Bei großen Umfangsänderungen an einer Extremität beziehungsweise konisch geformten Extremitäten sowie bei vertieften Gewebefalten soll eine flachgestrickte Qualität verordnet werden, da bei diesen anatomischen Verhältnissen rundgestricktes Material ungeeignet ist. (Empfehlung 4.7) 
  • Aufgrund der Strickart weisen flachgestrickte MKS in der Regel eine höhere Stiffness, aber auch eine höhere Biegesteifigkeit auf. Diese Eigenschaften sollten bei der Versorgung von Betroffenen mit Lipödemen sowie bei begleitender Adipositas genutzt werden. Die höhere Biegesteifigkeit überbrückt tiefere Gewebefalten besser, ohne durch „Hineinrutschen“ zu Abschnürungen zu führen. (Empfehlung 4.8) 

Wahl der Kompressionsklasse (KKL)

  • Strumpfart und Stärke des erforderlichen Andrucks, das heißt die KKL, sollen an die Lokalisation, den klinischen Befund und die Schwere der Beschwerden und Veränderungen angepasst werden. Eine starre Zuordnung einer KKL zur Diagnose Lipödem soll nicht erfolgen, da das Ziel der Kompressionstherapie die Besserung der subjektiven Symptome, insbesondere des Schmerzes, ist. (Empfehlung 4.9) 
  • Es soll immer die niedrigste KKL bevorzugt werden, die zu einer ausreichenden Symptomlinderung führt. Dies unterstützt die Adhärenz mit der Kompressionstherapie. (Empfehlung 4.10) 

Weitere Empfehlungen zur Therapie des Lipödems
 

  • Physiotherapie: Da Bewegung in Kompression beziehungsweise ein Trainingsprogramm ein wichtiges Element in der Schmerzreduktion darstellt, soll sie in das therapeutische Gesamtkonzept einbezogen werden (Empfehlung 7.2). 
     
  • Psychosoziale Therapie: Psychische Störungen können die Symptome und Lebensqualität von Lipödem-Patient:innen beeinflussen und sollten bei der Diagnostik und Therapie des Lipödems beachtet werden. Hierzu zählen beispielsweise Essstörungen, Depression, posttraumatische Symptome nach Gewalt und Missbrauch. Dabei sollte ein interdisziplinärer Therapieansatz verfolgt werden. (Empfehlung 8.2) 
     
  • Selbstmanagement: Effektives Selbstmanagement ist ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitskompetenz. Sie soll gefördert und die Patient:innen zur aktiven Rolle ermutigt werden. Problemlösestrategien und konkrete individuelle Therapieziele sollen gemeinsam erarbeitet werden und so die Erhöhung der Selbstwirksamkeit gefördert werden. (Empfehlung 9.1) 
     
  • Gewichtsmanagement: Die Therapie von Übergewicht und Adipositas soll in das Gesamtkonzept der Therapie des Lipödems einbezogen werden, da beide zur Progredienz der Extremitätenvolumina und zur Verschlechterung des Krankheitsbilds führen können. (Empfehlung 10.4) 

Liposuktion als operative Maßnahme

Die folgenden Aspekte zur Indikation einer operativen Therapie mittels Liposuktion bei Lipödem an Beinen und / oder Armen sollen berücksichtigt werden (Empfehlung 12.2): 

  • Dokumentierte therapierefraktäre Schmerzen – keine Besserung trotz konservativer Therapie 
  • Komplikationen, beispielsweise Einschränkungen der Mobilität, dermatologische oder orthopädische Folgeerkrankungen 
  • Kritische Indikationsstellung bei Waist-to-Height-Ratio (WHtR) über 0,55 und bei einem BMI über 40 kg/m² 
  • Vorrangige Behandlung einer koinzidenten Adipositas  
  • Präoperative Entstauung bei koinzidenten Ödemen anderer Genese 
  • Strenge Indikationsstellung bei einem Alter unter 18 Jahren 

Bringt die konservative Methode nicht den gewünschten Therapieerfolg, dann kann eine Liposuktion in Erwägung gezogen werden. 

  • Als operative Methode der Wahl zur nachhaltigen Reduktion des betroffenen Unterhautfettgewebes des Lipödems an Beinen und Armen soll die Liposuktion eingesetzt werden. (Empfehlung 12.1) 
  • Unmittelbar nach Liposuktion sollte eine komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) durchgeführt werden. Intensität und Dauer sollten sich am postoperativen Befund orientieren. Die KPE sollte mit der Phase I beginnen. (Empfehlung 12.5) 
  • Die Patient:innen sollen nach einer Liposuktion weiter abhängig von der Beschwerdesymptomatik konservativ behandelt werden. Insbesondere soll auf Mobilität, Gewichtsstabilität und Stressregulation geachtet werden. (Empfehlung 12.6) 

 

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Quellen und Hinweise anzeigen:

Quelle: 

1 S2k-Leitlinie Lipödem. Deutsche Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie e.V.: S2K-Lipödem, 5.0, 2024, Online veröffentlicht unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/037-012 (Letzter Zugriff 11.04.2024) 


* Zweckbestimmung mediven cosy:

Flachgestrickte medizinische Kompressionsversorgung zur Kompression der unteren Extremitäten, hauptsächlich bei der Behandlung von Erkrankungen des Lymphgefäßsystems.