Medizinisch-wissenschaftliche Informationen zu Knieverletzungen

Einsatz von Knieorthesen im konservativen und postoperativen Setting

Medizinisch-wissenschaftliche Informationen zu Knieverletzungen

Knieorthesen unterstützen die funktionelle Therapie von Patient:innen mit Verletzungen im Bereich des Kniegelenks

Verletzungen im Bereich des Kniegelenks sind eine häufige Diagnose. Einer Analyse von gesetzlichen Krankenkassendaten zufolge sind jährlich 2,3 Prozent aller Versicherten wegen einer neu aufgetretenen Knieverletzung in ärztlicher Behandlung.1 In der konservativen sowie postoperativen Therapie einer Vielzahl von Knieverletzungen spielt der Einsatz von Knieorthesen eine wichtige Rolle. Eine Umfrage zu den Standards in der Nachbehandlung nach vorderer Kreuzbandruptur (VKB-Ruptur) kommt etwa zu dem Ergebnis, dass über 80 Prozent der befragten Ärzt:innen postoperativ eine Orthese – vorzugsweise eine Hartrahmenorthese – verordnen.2 Speziell bei begleitender Meniskusbeteiligung sieht ein Großteil der Nachbehandlungsprotokolle eine Bewegungsrestriktion unter Anwendung einer Knieorthese vor (siehe Reiter „Versorgungsalltag“).3 Darüber hinaus liefern aktuelle Studienergebnisse aus Australien wertvolle Hinweise, dass eine konsequente orthesengestützte Immobilisierung in 90° Knieflexion für vier Wochen die konservative Heilung nach Verletzungen des vorderen Kreuzbandes positiv beeinflussen kann (Cross Bracing Protocol).4 Und auch einige Leitlinien thematisieren die Anwendung von Knieorthesen als elementare Therapieoption: So wird etwa in der S2e-Leitlinie Kniegelenkluxation für die konservative und postoperative Therapie der Einsatz einer kniegelenkübergreifenden Hartrahmenorthese, wie etwa der M.4s comfort, empfohlen (siehe Reiter „Leitlinien“).5

Doch nicht nur im Sinne des medizinischen Nutzens und aus Sicht der Ärzt:innen sind Knieorthesen bedeutsam. Auch aus Patient:innenperspektive leisten orthopädische Hilfsmittel einen wertvollen Therapiebeitrag. In zwei repräsentativen Patient:innenumfragen konnte gezeigt werden, dass Knieorthesen als Hilfsmittel genutzt und auch gerne und konsequent getragen werden (siehe Reiter „Patient:innenumfrage Allensbach“).6 Knieorthesen können dabei das Operationsergebnis schützen und unterstützen die Patient:innen in ihrer frühfunktionellen Therapie (siehe Reiter „Patient:innenumfrage Schutzfunktion“).7 Zusätzlich zeigte sich in den Umfragen eine hohe Patient:innenzufriedenheit: 89 Prozent der Anwender:innen waren mit ihrem Hilfsmittel zufrieden oder sehr zufrieden und 94 Prozent der Nutzer:innen würden ihre Knieorthese weiterempfehlen.6,7

Patient:innenumfrage Schutzfunktion

Subjektive Schutzfunktion einer Knieorthese in kritischen Alltagssituationen bestätigt7

In klinischen Studien zu traumatischen Knieverletzungen liegt der Fokus häufig auf klinisch objektivierbaren Endpunkten (vor allem funktionelle Outcomes). Der subjektive, patient:innenrelevante Nutzen einer Knieorthese in der frühen Rehabilitationsphase wird jedoch selten untersucht. Deshalb führte medi von März bis September 2018 eine repräsentative Umfrage mit 2.956 Patient:innen durch. Allen Befragten wurden die Hartrahmenorthesen M.4s comfort oder M.4 X-lock aufgrund einer Verletzung im Bereich des Kniegelenks verschrieben.

Neben Informationen zur Indikation, Ätiologie der Verletzung und Therapie wurden auch die Häufigkeit kritischer Ereignisse während der Rehabilitation sowie der Nutzen und Tragekomfort der Orthese abgefragt.

Der Großteil der befragten Patient:innen bekam eine Hartrahmenorthese aufgrund einer Verletzung am vorderen Kreuzband (47 Prozent) und/oder einer Verletzung am Meniskus (32 Prozent) verordnet. 92 Prozent der Anwender:innen von Orthesen stimmten zu oder voll zu, dass die Orthese vor kritischen Kniebewegungen geschützt hat (Abbildung 1). Knapp 94 Prozent der Teilnehmer:innen bestätigten, dass ihnen die Orthese Sicherheit gegeben und in der Therapie unterstützt habe (Abbildung 2).

Die Verarbeitung und der Umgang mit der Knieorthese wurden von einem Großteil der Befragten als zufriedenstellend empfunden. Dies spiegelte sich in einer sehr hohen Weiterempfehlungsrate von 94 Prozent wider. 93 Prozent der Patient:innen bewerteten die Qualität der Orthese und 77 Prozent den Tragekomfort als gut bis sehr gut. 84 Prozent der Teilnehmer:innen gaben die Handhabung als gut bis sehr gut an.

Zusammenfassend liefert die repräsentative Patient:innenbefragung klare Hinweise, dass durch das Tragen einer Orthese ein subjektiv höheres Sicherheits- und Stabilitätsgefühl erzeugt wird – vor allem in kritischen Alltagssituationen. Dies kann zu einer schnelleren Mobilisierung und Rückkehr in den Beruf und den Alltag führen.


Die Orginalveröffentlichung der Patient:innenumfrage aus der ORTHOPÄDIE TECHNIK können Sie sich hier herunterladen:

Patient:innenumfrage Allensbach

Patient:innenumfrage bestätigt: Positive Wirkung und hohe Akzeptanz medizinischer Hilfsmittel6

Zum dritten Mal nach 2014 und 2019 wurde das Institut für Demoskopie Allensbach von der Herstellervereinigung eurocom beauftragt, eine Befragung zur Nutzung von medizinischen Hilfsmitteln (Bandagen/Orthesen, medizinische Kompressionsstrümpfe und Einlagen) durchzuführen. Mit Blick auf die Rolle von Bandagen und Orthesen in der Therapie muskuloskelettaler Erkrankungen bestätigen die Umfrageergebnisse 2023 die vorhergehenden Resultate nicht nur, es konnten sogar weitere Steigerungen, etwa in Bezug auf die Weiterempfehlungsrate, Schmerzreduktion oder Lebensqualität gezeigt werden. Die aktuellen Umfragewerte untermauern, dass sich der Bedarf, die Akzeptanz und die Nutzung medizinischer Hilfsmittel in der Bevölkerung auf einem sehr hohen Niveau befinden. Besonders dem Einsatz von Bandagen und Orthesen am Kniegelenk kommt hier eine große Bedeutung zu. 42 Prozent der Patient:innen gaben an, dass sie eine Kniebandage beziehungsweise -orthese tragen.

Alle Ergebnisse der Befragung können Sie unter www.eurocom-info.de herunterladen.

Leitlinien

Leitliniengerechte Therapie von Knieverletzungen mit Knieorthesen

Mehrere deutschsprachige AWMF-Leitlinien thematisieren die Bedeutung von Knieorthesen in der Therapie unterschiedlicher Knieverletzungen – etwa die Leitlinie zur hinteren Kreuzbandruptur oder zur Kniegelenkluxation.

Knieorthese  M4s PCL dynamic

Ruptur des hinteren Kreuzbandes (HKB): Frühzeitige Diagnosestellung und Einleitung einer adäquaten Orthesenbehandlung8

„Im Gegensatz zur Ruptur des vorderen Kreuzbandes ist selbst beim aktiven jungen Patienten die konservative Behandlung v.a. einer isolierten hinteren Kreuzbandläsion eine legitime oder gar Option der Wahl. Wichtig ist eine frühzeitige Diagnosestellung und Einleitung einer adäquaten Orthesenbehandlung.“

In der S1-Leitlinie Hintere Kreuzbandruptur wird zur konservativen Therapie die zeitnahe Versorgung mit einer HKB-Orthese, wie z. B. der medi PTS, empfohlen. Zur Aufhebung der hinteren Schublade können auch Orthesen mit Wadenpad verwendet werden (z. B. M.4s PCL dynamic). Die Dauer der Anwendung von Orthesen wird mit mindestens zwölf Wochen angegeben.

Beim postoperativen Einsatz der Knieorthese nach einer HKB-Plastik sollte das Kniegelenk zuerst in einer Schiene mit Wadenpad (beispielsweise medi PTS) gelagert werden. Alternativ wird die Verwendung einer Orthese mit aktiver Wadenunterstützung (beispielsweise M4s PCL dynamic) empfohlen, in der auch die Bewegungstherapie durchgeführt wird.

M4s X-Lock

Kniegelenkluxation: Bedeutung von Orthesen in der konservativen und postoperativen Behandlung5

Patient:innen mit Kniegelenkluxation können grundsätzlich konservativ oder operativ behandelt werden. Laut S2e-Leitlinie Kniegelenkluxation  gelten Patient:innen ohne subjektive oder höhergradige objektive Instabilität als geeignet für eine konservative Therapie. Diese ist durch eine Ruhigstellung des Gelenkes in einer Orthese, vorzugsweise einer Hartrahmenorthese, charakterisiert. Darüber hinaus gilt die Lagerung in einer kniegelenkübergreifenden Hartrahmenorthese auch als adäquate Therapieoption im postoperativen Setting.

Versorgungsalltag

Die Versorgung von Knieverletzungen mit Knieorthesen ist verbreitet und wird von Ärzt:innen als zielführend erachtet

Befragt man Ärzt:innen zur Verwendung von Knieorthesen nach vorderem Kreuzbandersatz zeigt sich, dass 82,8 Prozent das von ihnen operierte Gelenk vorzugsweise mit einer Hartrahmenorthese schützen (Abbildung 1).2 Einer Analyse von Nachbehandlungsschemata nach VKB-Rekonstruktionen zufolge sehen knapp 80 Prozent der Protokolle die Anwendung von Orthesen bei begleitend aufgetretener Meniskusverletzung vor.3

Ärzt:innen sehen in der Anwendung einer Orthese einen sicherheitsrelevanten Aspekt, um vor kritischen Ereignissen zu schützen und das Transplantat zu schonen. Rauch et al. weisen in ihrer Veröffentlichung darauf hin, dass eine Orthese nach erfolgter VKB-Plastik dazu beiträgt, das Knie „in der Frühphase vor unvorhersehbaren Stürzen oder Überbelastung“ zu schützen. Darüber hinaus „bietet eine Orthese eine Protektion bei mangelnder Compliance des Patienten.“9 Und auch Dr. Christina Valle bestätigt, dass die Verwendung einer Orthese nach einer Knie-OP „dem Patienten subjektiv mehr Sicherheit in seiner Bewegung vermitteln und unnötige Ängste nehmen“ kann.10

Diese Expert:innenmeinungen entsprechen auch den Ergebnissen der repräsentativen Patient:innenumfrage Schutzfunktion, die das subjektiv erhöhte Sicherheitsgefühl durch die Anwendung einer Knieorthese in kritischen Alltagssituationen gezeigt hat.7

Der Einsatz von Knieorthesen nach hinterer Kreuzbandruptur als elementare Versorgungsoption11

Yasen rät in seiner 2019 veröffentlichten Übersichtsarbeit dazu, die verfügbaren Knieorthesen sowohl in der Akutphase nach einer Ruptur des hinteren Kreuzbandes (HKB) als auch postoperativ nach HKB-Rekonstruktion einzusetzen. Durch einen frühzeitigen Einsatz von Knieorthesen können somit potentiell alle isolierten HKB-Verletzungen konservativ behandelt werden:

  • Bei der Diagnosestellung und in der akuten Phase nach der Verletzung kommen statische Varianten der Knieorthesen (wie die medi PTS) zum Einsatz.
  • Zur weiteren konservativen Therapie der Verletzung nach der Akutphase werden die dynamischen Knieorthesen (beispielsweise M4s PCL dynamic), die vor allem die Stabilisierung der hinteren Schublade (posteriore tibiale Translation) mit einem dorsalen, aktiven Wadenpad unterstützen, empfohlen.
  • Im postoperativen Setting finden Orthesen häufig bis sechs Monate nach dem Eingriff Anwendung. Während in den ersten beiden Wochen nach der OP statische Orthesen empfohlen werden, sind es ab der dritten Woche bis sechs Monate nach der OP dynamische Orthesen.

Eine Analyse von Rehabilitationsprotokollen nach der HKB-Rekonstruktion ergab, dass alle untersuchten Protokolle die sofortige Anwendung einer Knieorthese vorsehen, was die Bedeutung von Knieorthesen in der postoperativen HKB-Therapie eindrucksvoll untermauert.12



Quellen anzeigen

Schneider O et al. Inzidenz von Kniegelenkverletzungen: Zahlen für die ambulante und stationäre Versorgung in Deutschland. Orthopäde. 2016;45(12):1015-1026.
Valle C et al. Standards in der Nachbehandlung nach vorderem Kreuzbandersatz im deutschsprachigen Raum. Sportverletz Sportschaden. 2018;32(2):103-110.
3 Memmel C et al. Current Standards of Early Rehabilitation after Anterior Cruciate Ligament Reconstruction in German Speaking Countries-Differentiation Based on Tendon Graft and Concomitant Injuries. Int J Environ Res Public Health. 2022;19(7):4060. 
4 Filbay SR et al. Healing of acute anterior cruciate ligament rupture on MRI and outcomes following non-surgical management with the Cross Bracing Protocol. Br J Sports Med. 2023;57(23):1490-1497. 
5 Krause M et al. S2e-Leitlinie Kniegelenkluxation. Online veröffentlicht unter: AWMF Leitlinienregister (Letzter Zugriff: 08.04.2024). 
6 eurocom e. V.: Medizinische Hilfsmittel: Wirkungsvolle und etablierte Therapie für mehr Lebensqualität im Alltag. Repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag von eurocom e. V. Umfrageergebnisse 2023. Online veröffentlicht unter: www.eurocom-info.de/studien/patientenumfrage-ifd-allensbach/ (Letzter Zugriff: 05.04.2024) 
7 Erhardt A. Subjektive Schutzfunktion einer Knieorthese in kritischen Alltagssituationen. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage mit 3.000 Patienten. Orthopädie Technik 2019; Ausgabe 2/2019:32-37.  
Wachowski et al. S1-Leitlinie Hintere Kreuzbandruptur. Stand: 22.07.2018 (in Überarbeitung). Online veröffentlicht unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/187-032 (Letzter Zugriff: 08.04.2024) 
9 Rauch G et al. Vordere Kreuzbandverletzungen – Bewährte und neue Therapien. Dtsch Aerztebl 2019;116(13):A634-A640/A5. 
10 AGA – Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie: „Zurück zum Sport nach Gelenkverletzung und OP: Bandagen und Orthesen – wann helfen sie wirklich? Online veröffentlicht unter: https://www.aga-online.ch/fileadmin/user_upload/News/Bandagen_und_Orthesen__2019_F.pdf (Letzter Zugriff 09.04.2024). 
11 Yasen SK. Surgical reconstruction of the posterior cruciate ligament: current perspectives. Orthopaedics and Trauma 2019;33(2):81-90. 
12 Memmel C et al. Standardized Rehabilitation or Individual Approach?-A Retrospective Analysis of Early Rehabilitation Protocols after Isolated Posterior Cruciate Ligament Reconstruction. J Pers Med. 2022;12(8):1299.